Biographie
1896
Als dritte Tochter des Ingenieurs Rudolf Schmidt und seiner Frau Franziska kommt Erna Schmidt-Caroll am 30. Oktober in Berlin zur Welt. Schon die Dreijährige zeichnet mit großer Begeisterung – eine künstlerische Neigung, die vom Vater erkannt und für die Nachwelt dokumentiert wird: Rudolf Schmidt datiert und sammelt diese Bilder.
1905
Berufsbedingt muß die Familie häufig den Wohnort wechseln. Nach Aufenthalten in Landshut, Chemnitz und Breslau zieht man im Jahr 1905 nach Neisse in Oberschlesien. Dort besucht Erna die höhere Mädchenschule, wo sie als künstlerische «Wunderbegabung» (Margarete Juretzka) auffällt. Mit zehn Jahren entstehen die ersten Modezeichnungen; zudem füllt Erna ganze Hefte mit Bildergeschichten.
1914
Erna schreibt sich im Sommersemester an der Kunstakademie zu Breslau ein, die zu jener Zeit von dem Architekten Hans Poelzig geleitet wird. Sie wird in die zeichnerische Fachklasse von Arnold Busch aufgenommen. Nach Ausbruch des Krieges geht Busch als Kriegsmaler an die Front und verläßt die Akademie.
1915
In der Zeitschrift Die Woche erscheint ein Aufsatz des Architekten Hermann Muthesius mit dem Titel «Der Krieg und die deutsche Modeindustrie». Erna Schmidt ist von dem Text derartig fasziniert, daß sie dem Autor einige Arbeitsproben zusendet.
1916
Muthesius vermittelt der Künstlerin eine Anstellung als Zeichnerin für Modeentwurf beim renommierten Berliner Modehaus Gerson. Erna Schmidt bricht ihr Studium in Breslau ab und zieht nach Berlin.
1917
Breits nach wenigen Monaten kündigt Erna Schmidt bei Gerson. Sie beschließt, ihre künstlerische Ausbildung an der Unterrichtsanstalt des Berliner Kunstgewerbemuseums fortzusetzen. Erna Schmidt wird in die Graphikklasse des berühmten Porträtisten Emil Orlik aufgenommen, der sie im Zeichnen nach der Natur und im Aktzeichnen unterrichtet.
1920
Als Meisterschülerin Emil Orliks beendet Erna Schmidt ihr Studium an der Kunstgewerbeschule. Vermutlich legt sie sich in dieser Zeit den Beinamen Caroll zu. Noch im Jahr 1919 hatte sie einen Linolschnitt ausgeführt, der mit «Erna Schmidt» signiert ist. Ein Jahr später unter-zeichnet sie die Titelillustration zu Andersens Das Märchen meines Lebens mit dem Künstlernamen «Schmidt-Caroll». Vermutlich markiert diese Namensänderung den Beginn der professionellen Künstlerlaufbahn.
Zeichnung für Emil Orlik, 1920
Zeichnung für Emil Orlik, 1920
1922
Zwischen 1922 und 1924 publiziert Erna Schmidt-Caroll in der bibliophilen Zeitschrift Styl Illustrationen und Modetafeln. Mit diesen Veröffentlichungen etabliert sie sich endgültig als erfolgreiche Journalgraphikerin, die kontinuierlich Aufträge von Roland, Jugend und Sport im Bild erhält. Daneben ist sie in den folgenden Jahren als Buchillustratorin und freischaffende Künstlerin tätig; Menschen und Situationen auf Berliner Straßen werden zu ihren bevorzugten Themen. An der progressiven und international bekannten Schule Reimann beginnt Erna Schmidt-Caroll am 1. Oktober 1922 ihre Lehrtätigkeit, die sie über viele Jahre ausüben wird; zunächst leitet sie die Klasse für Modeentwurf.
1925
Albert Reimann, der Gründer und Direktor der Schule Reimann, überträgt Schmidt-Caroll die neu eingerichtete Klasse für Theater Figurinen. Gemeinsam mit ihren Schülern hat Schmidt-Caroll großen Anteil am Erfolg der Reimannschen Faschingsbälle.
1927
Die Reimann-Schule feiert ihr 25jähriges Bestehen: In einer Wanderausstellung und einer großen Festschrift wird die künstlerische Produktion von Lehrern und Schülern gezeigt. In einem Artikel skizziert Schmidt-Caroll die Grundsätze ihres Unterrichts: «Unter den Schülern Umfang und Begrenztheit der Fähigkeit herauszuspüren, wie viel Begabung auf diesem Gebiet als überhaupt allgemeines Kunstempfinden vorhanden ist, die Individualität erkennen und danach den Studierenden nach seiner jeweiligen Eigenheit zu leiten, Vorhandenes zu wecken, zu steigern und den Weg der Weiterentwicklung zu führen, ist Aufgabe und Verdienst des Unterrichtenden.» (Farbe und Form, H. 4 / 1924, 12. Jg., S. 111)
1928
Erna Schmidt-Caroll ist mit sechs Blättern neben Otto Dix, Emil Orlik, Karl Arnold u. a. auf der Ausstellung Humor in der Malerei in der Berliner Secession vertreten.
1930
Zu Beginn des Dezenniums mehren sich die Ausstellungsbeteiligungen Erna Schmidt-Carolls; sie nimmt an der Schau der Berliner Secession teil und beteiligt sich an Gruppenausstellungen des Vereins der Berliner Künstlerinnen, dessen Mitglied sie wird. Vermutlich unternimmt sie in dieser Zeit auch erste Italienreisen.
1931
Auf der Großen Berliner Kunstausstellung im Schloß Bellevue ist Erna Schmidt-Caroll mit einer «famosen Studie aus Innsbruck» (Vossische Zeitung, 5. Spetember 1931) vertreten. Die Künstlerin hatte bereits das Sujet der Landschaftsdarstellung für sich entdeckt, eine Gattung, die sich gleichwertig neben ihren Zeichnungen von Passanten und Kaffeehausbesuchern, den Milieuschilderungen aus dem Berliner Nachtleben und den kraftvollen Kostümzeichnungen behauptet. An der Schule Reimann übernimmt die Künstlerin zusätzlich die Klasse für Aktstudium.
1933
Von der Machtübernahme der Nationalsozialisten ist auch Erna Schmidt-Caroll unmittelbar betroffen. Verlage, für die sie zeichnet, werden «gleichgeschaltet», die Publikationen verändern ihre Gesichter. Die Schule Reimann gerät sofort in das Visier der neuen Machthaber, steht sie doch mit Albert Reimann unter jüdischer Leitung und gilt aufgrund ihres fortschrittlichen Lehrplans als suspekt. In den folgenden Jahren konzentriert sich die Künstlerin auf Landschaftsdarstellungen und Kinderbilder.
1935
Nach der sogenannten «Arisierung» der Schule Reimann und dem Zwangsverkauf wird sie unter dem neuen Namen Kunst und Werk weitergeführt. Erna Schmidt-Caroll kann weiterhin an der Schule unterrichten. Zum Begründer Albert Reimann hält sie auch nach dessen Emigration im Jahr 1938 Kontakt.
1937
Die Internationale Ausstellung für Kunst und Technik in Berlin präsentiert auch Arbeiten von Erna Schmidt-Caroll. Sie stellt künstlerische Arbeiten in der Abteilung Textilindustrie aus, die von Mies van der Rohe und Lilly Reich gestaltet wurde. Im Jahr 1937 nimmt Schmidt-Caroll einen zusätzlichen Lehrauftrag an der Berliner Textil- und Modeschule an; sie unterrichtet Aktzeichnen.
1938
Erna Schmidt-Caroll hat ihre erste umfassende Ausstellung in der alt eingesessenen Berliner Galerie Gurlitt. Ihre 22 Aquarelle zeigen Figürliches und Landschaften, die auf verschiedenen Italienreisen entstanden waren. «Eine recht interessante Aquarellistin ist auch Erna SchmidtCaroll. In Köpfen von Frauen und Kindern verbindet sie eine intensive Farbgebung mit klarer und knapper Umrißzeichnung», heißt es in einer Rezension (Berliner Zeitung, 1. Juli 1938 ). Ein anderer Kritiker lobt: «Mit sicherem Pinsel wird der Umriß gegeben, und mit viel Geschmack werden die übrigen Farben verteilt. Man spürt die spontane Freude an kräftigen Farben» (Berliner Tageblatt, 20. April 1938 ).
1942
Die Zeitschrift Gebrauchsgraphik ehrt die Künstlerin mit einem großen Beitrag und publiziert einige Italienbilder, die nunmehr im Œuvre eine zentrale Stelle einnehmen.
1943
Die frühere Schule Reimann wird bei einem Bombenangriff zerstört. Nach 21 Jahren engagierter Lehre verliert Erna Schmidt-Caroll damit ihre Wirkungsstätte. Sie wird nach Herischdorf im Riesengebirge evakuiert und kann dabei zunächst viele ihrer Arbeiten retten. In Herischdorf wird sie zum Kriegshilfsdienst in einer Zellulosefabrik verpflichtet.
1945
Bei der Flucht aus Schlesien läßt Erna Schmidt-Caroll ein Teil ihres Werkes zurück; diese Arbeiten müssen bis heute als verschollen gelten.
1945
Bei der Flucht aus Schlesien läßt Erna Schmidt-Caroll ihre Werke zurück; sie müssen bis heute als verschollen gelten.
1945 – 51
Erna Schmidt-Caroll lebt als freischaffende Künstlerin in Landshut und München. In dieser finanziell schwierigen Lebensphase ohne feste Anstellung übernimmt sie verschiedene gebrauchsgraphische Aufträge. Sie zeichnet Illustrationen für Zeitschriften und entwirft Muster für die Seidenweberei Schmitz in Biberach. Daneben widmet sie sich eingehend der Buchillustration. Charles Dickens’ Weihnachtsgeschichte und Adalbert Stifters Bergkristall erscheinen mit ihren Illustrationen; weitere im Nachlaß erhaltene Ilustrationszyklen bleiben unpubliziert. Von Reisen durch Bayern und nach Italien bringt sie viele Skizzen und Bilder mit. Die Nähe zu den Alpen motiviert sie zu einer eingehenden Beschäftigung mit dem Motiv Berglandschaft, für das sie eine eigene Bildsprache findet. Sie malt die Hochalpen, Tirol und die Dolomiten. Auch frühere Themen werden wieder behandelt: Schmidt-Caroll beobachtet und zeichnet wieder Menschen in der Stadt.
1951
Nach Jahren der Unsicherheit erhält Schmidt-Caroll eine Anstellung als Abteilungsleiterin und Entwurfsklassenleiterin für Grafik und Mode an der Werkkunstschule Hannover. Damit kann sie an die jahrelange Tätigkeit an der Schule Reimann anschließen.
1955
Durch Maria May, eine ehemalige Kollegin von der Schule Reimann, wird Schmidt-Caroll an die Hamburger Meisterschule für Mode berufen, wo sie bis 1962 als Entwurfsklassenleiterin für Figur, Akt und Komposition tätig ist.
1963
Im Sommer des Jahres übersiedelt Erna Schmidt-Caroll von Hamburg nach München. Sie ist bereits schwer erkrankt und muß sich einer Operation unterziehen. In München erreicht sie unverhofft eine Sendung aus Berlin: Arbeiten aus den zwanziger und dreißiger Jahren wurden im Keller ihres unzerstört gebliebenen Berliner Ateliers auf gefunden und ihr nun zugeschickt.
1964
Am 16. April verstirbt Erna Schmidt-Caroll in München. Zwei Jahre später konstatiert Eberhard Ruhmer in seinem Nachruf: «Zu stolz, um Konzessionen an den Tagesgeschmack zu machen oder sich öffentliche Beachtung auf andere Weise zu erlisten, war sie zunächst zufrieden, ihr Werk in der Verborgenheit langsam wachsen und still erblühen zu lassen. Als letztes Ziel bewegte sie dabei der Gedanke, im Alter ihre Ernte mit aller gerechtfertigten Vollständigkeit im Rahmen einer großen Ausstellung der Öffentlichkeit vor und zur Diskussion zu stel len. – Es sollte nicht mehr dazu kommen.» ( Die Kunst und das schöne Heim, H. 2 / 1966, 65. Jg., S. 64.