Zeitgenossen über Erna Schmidt-Caroll
Koo Bickenbach, 1926 · Eberhard Hölscher, 1942 · Eberhard Ruhmer, 1966
Koo Bickenbach, 1926
Unter Ignorierung jedweder Richtung und aller «Ismen» verraten Erna Schmidt-Carolls Bilder und Zeichnungen eine so starke Eigenartigkeit, daß man aus dem Überfluß heutiger Kunstprodukte bereitwillig diese Blätter greift, weil sie neben lebendigem Ausdruck der Zeit und aufrichtig-freudigem Bekenntnis zu dieser Zeit mit dem Auge eines Menschen gesehen sind. Hier ist jemand, der sieht, und das Ergebnis ist eine Farbensymphonie (Wieviel Farben sind darin !), ist eine Linie, ebenso bizarr wie notwendig, ist ein Lächeln, eine Grimasse, und alles dies erfüllt von dem Odem einer Menschlichkeit mit der logischen Kurve zur Komik. Wie ermüdend und gleichgültig müßten diese Bilder bleiben und wie verwandt den Zeitungs- und JournalZeichnungen (die ja dasselbe Thema zum Vorwurf haben), wenn diese Menschen nicht «gesehen» wären. Zwischen Photographie und Manieriertheit expressionistischer Kunst hat Erna Schmidt-Caroll den Weg gefunden (Dürfte es überhaupt für einen Künstler einen anderen Weg geben ? ), die Seele, d. h. das Menschliche zu treffen, und anstatt der starren, obligaten Maske ein Wesen zu zeichnen, dessen ernsthaft dressierte Pose und Geste ebenso charmant wie lächerlich wirkt und wo man unter der gefälligen Schminke die unerbittliche Furche von Alltag und Schicksal ahnt. Wenn aber Farben noch die Zeichnung ergänzen, so sind diese ebenso lebendig und munter gewählt, und der Kontakt ist da zum bunten Vorbild zwischen Kulisse und Trapez.
«Zeit-Rummel» ist der Inhalt dieser Bilder: Jazz, Revue, Tillergirls und Neger, Varieté und Circus, das Houbigant-Gesichtchen der mondänen Frau und der Herr in der knisternden Weichheit phantastischer Pyjamas, Tingeltangel mit seiner ganz billigen Aufdringlichkeit und die «große Nummer» im Cabaret, Skala, Wintergarten, Karneval, voilá, eine Zeit-Revue.
Allen diesen Dingen, Impressionen aus dem Rhythmus der Zeit, gibt Erna Schmidt-Caroll ein Gesicht. Die Masse Mensch sieht es nicht und der namenbelastete Kunstkritiker wird es ignorieren, aber dem, der (wenn auch schamhaft und zögernd) die Tünche von dem Gesicht dieser Zeit einal abkratzt, wird es ein Lächeln der Zustimmung entlocken, weil hier einer, ohne Ewigkeitswerte schaffen zu wollen, Menschen auf dem Papier entstehen läßt, die, ihres Sujets wegen viel beliebt und deshalb ausgenutzt von Litfaßsäule und Reklame für Schuhcrême oder Likör, nunmehr losgelöst sind von ihrer stilisierten, kunstgewerblichen Schablone und zurückgeführt werden zu ihrem eigentlichen Zweck: Freude zu wecken. Bei Gott, diese farbigen, bizarren Bilder machen Freude.
Wie lebenswahr, ohne Kintopp zu sein, sind diese Menschen in Trikot und Frack, in Clownsdreß und bil liger Seide, ihre Puppengesichter, oft nur mit wenigen Strichen angedeutet, zeigen die ganze Tragikomödie des Artistenberufes.
Die andere Seite aber in dem Schaffen Erna Schmidt-Carolls ist der Mensch in seiner Körperlichkeit, ist der herbe, wohlgebildete Akt eines Mannes oder die weiche, behutsame Linie eines Frauenkörpers, ist ein Porträt, lebendig durch die träumerische Fülle des Gesichtes.
Eberhard Hölscher, 1942
Zum ersten Mal erscheint Erna Schmidt-Caroll in dieser Zeitschrift mit einer größeren Folge von Arbeitsproben, wobei es durchaus kein Zufall ist, daß diese Veröffentlichung durch zwei farbig ungemein reizvolle Landschaften aus Italien eingeleitet wird: diese beiden Blätter wollen ganz bewußt etwa möglichen Mißverständnissen vorbeugen und veranschaulichen, daß ihre Schöpferin keine auf irgendein engeres Fachgebiet eingeschworene Spezialistin, sondern eine freischaffend tätige Malerin und Graphikerin ist und daß ihr Werk nur von diesem zentralen künstlerischen Ausgangspunkte her zu begreifen und zu werten sei.
Auch ihre künstlerische Entwicklung hat sich gradlinig und ohne abirrende Schwankungen vollzogen. Sie hat unter der Anweisung tüchtiger Lehrer eine gründ liche und sorgfältige Ausbildung an der ehemaligen Unterrichtsanstalt des Staatl. Kunstgewerbemuseums, der heutigen Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst in Berlin erfahren, und neben einem kürzeren Aufenthalte in Paris haben vor allem als stärkstes Bildungserlebnis wiederholte und längere Reisen nach Italien einen bestimmenden Einfluß auf ihre erleb niskräftige Phantasie ausgeübt. Erna Schmidt-Caroll wirkt nun seit Jahren in ihrer Vaterstadt Berlin, wo sie auch an der Schule Kunst und Werk eine Fachklasse für figürliches Zeichnen und Malen betreut. Trotz ihrer in allen Fragen der Kunst konzessionslosen und jeden bil ligen Kompromiß ablehnenden Einstellung gehört sie aber nicht in die Reihen jener egozentrischen Künstler, die ohne Verständnis für die realen Forderungen des Tages und der Praxis nur sich selber verpflichtet fühlen. Das bekunden auch ihre hier gezeigten Arbeitsproben, wie etwa ihre delikaten Stoffentwürfe oder ihre dekorativen Schaufensterbilder, die zur Genüge beweisen, daß sie freudig ihre tätige Mitarbeit immer und überall dort zur Verfügung stellt, wo sie solche Zweckaufgaben mit ihrem künstlerischen Gewissen vereinbaren und sachgerecht lösen zu können glaubt. Unter diesen Voraussetzungen gelingen ihr dann aber Lösungen, die in ihrer Unmittelbarkeit und Frische noch den vollen Reiz der ersten künstlerischen Inspiration bewahren und die diese kostbaren Erlebnismomente ungeschwächt dem empfängnisbereiten Auge des Beschauers mitzuteilen vermögen. Ihre impulsiv hingeworfenen Federzeichnungen verraten eine sichere Beobachtungsgabe und einen bei Frauen im allgemeinen seltenen Sinn für Humor, aber ihre stärksten Wirkungen erzielt sie doch mit der Farbe, deren unendliche Reichtümer sie in allen ihren Möglichkeiten mit einer geradezu verschwenderischen Phantasie und sinnenhaften Erlebnisfreude immer wieder aufs neue auszuwerten versteht.
Aus: Gebrauchgraphik. International Advertising Art, Berlin, Januar 1942
Eberhard Rumer, 1966
Der Ehrgeiz des Kritikers wie des Kunsthistorikers, übersehen Kunst und Künstler der Anonymität zu entreißen, wird selten im zunächst erwarteten Maße befriedigt. Ist man ehrlich und objektiv, muß man sich meist eingeste hen, daß die bisherige Vernachlässigung durch die Öffentlichkeit doch nicht ganz unberechtigt gewesen sei. Erna Schmidt-Caroll aber kann hier getrost als eine der wenigen großen Ausnahmen gewertet werden, um so mehr, als sie nicht so nachhaltig vergessen worden wäre, wenn sie nicht selbst es so gewollt hätte. Zu stolz, um Konzessionen an den Tagesgeschmack zu machen oder sich öffentliche Beachtung auf andere Weise zu erlisten, war sie zunächst zufrieden, ihr Werk in der Verborgenheit langsam wachsen und still erblühen zu lassen. Als letztes Ziel bewegte sie dabei der Gedanke, im Alter ihre Ernte mit aller gerechtfertigten Vollständigkeit im Rahmen einer eigenen großen Ausstellung der Öffentlichkeit vor- und zur Diskussion zu stellen. – Es sollte nicht mehr dazu kommen. Vor zwei Jahren, am 16. April 1964 , starb die Künstlerin. Bei so geringer Störung durch die Außenwelt konnte Erna SchmidtCarolls künstlerische Entwicklung sich besonders konzentriert und geradlinig vollziehen. Dem Fehlen von stilistischen Abschweifungen aber steht ein erstaunlicher Reichtum der Motive (im weitesten Sinn) gegen über. Da sind zunächsterlesene Textilentwürfe und Modezeichnungen als derjenige Teil des Œuvres, dem eine Art materieller Breitenwirkung zuteil wurde. Delikate Erfindungen, die wir hier nur erwähnt haben wollen. Sodann Illustrationen in unendlicher Fülle und voller Esprit, zur Publikation bestimmt, aber nie veröffentlicht. Besonders hervorzuheben: die Zeichnnungen zu Dickens’ David Copperfield und Swifts Gulliver’s Travels. Der Schwerpunkt aber liegt in denjenigen Arbeiten, die in urei genstem Auftrag ausgeführt wurden. Nicht ohne Bewegung blättert man in einem wachstuchgebundenem Schulheft, in das die künstlerisch früh gereifte Dreizehnjährige zeichnerische Erlebnisberichte von ihrer privaten Kinderwelt humorvoll, aber nicht harmlos, idyllisch, aber nicht sentimental und vorallem erstaunlich gekonnt, eingetragen hat. Von diesen kindli chen Tagebuchbildern bis zu den Zeichnungen [der zwanziger Jahre] ist nur ein biologisch-psychologischer und natürlich auch künstlerischer Schritt. Hier entsteht das Berlin der berühmten zwanziger Jahre in zwielichtig schil lernder Niederschrift wieder – ein wenig dekadent, ein wenig frivol, immer sehr modisch, aber von jener scheuen Herzenswärme umspielt, die aller Berliner Schnoddrigkeit innezuwohnen pflegt. Beim Anblick eines heruntergekommenen Playboys denkt man zunächst an Toulouse-Lautrec; und doch klingt das Blatt versöhnlicher. Bei jenem Pärchen aus der Sphäre der «Schieber» fühlt man sich vielleicht an George Grosz erinnert; und doch weckt die Gruppe der schmidt-Caroll beinahe mehr menschliche Sympathie. Darüber hinaus lehren solche leicht sich anbietenden Vergleiche nicht viel mehr als die innere Freiheit der Künstlerin gegenüber jenen übergewichtigen Leitbildern, die ihrem künstlerischen Weg voranleuchten.
Bewundert hat Erna Schmidt-Caroll aber vor allem Paul Cézanne und auch Vincent van Gogh. Und – so erstaunlich das klingt – Wassily Kandinsky. Obgleich sich selbst nie die Flucht ins Abstrakte gestattend, billigte sie eine (vorübergehende und sinnvolle) Absage an den Gegenstand allein den großen Könnern zu.
«Können» – in diesem Punkte war die temperamentvolle, kompromißlose Meisterschülerin Emil Orliks und spätere Lehrerin an der privaten Berliner Reimann-Schule und an der Textilfachschule, ebenfalls in Berlin (1926 – 1943 ), ferner an der Werkkunstschule in Hannover (1951 – 1955) und an der Meisterschule für Mode in Hamburg (1955 – 1962 ) unerbittlich. Auf diese solide Grundlage kam zunächst alles an. Dann aber mußte die ständig wache, vorurteilsfreie Beobachtung noch weiter gehen. Natürlich stand am Anfang und am Ende das Emotionelle, die Inspiration – wie sie es nannte. Aber davon hatte eigentlich nur der Meister, nicht der Schüler zu reden.
Die seltsame Liebe zu Cézanne und van Gogh steht mit einem weiteren, noch viel wichtigeren Motivkomplex von Erna Schmidt-Caroll in Verbindung: mit Malereien mittleren Formats, die unter Ausschluß der Öffentlichkeit in einer eigenen Mischtechnik aus kreidigen, wässerigen und öligen Materialien von altmeisterlichem Temperacharakter entstanden. Hier gibt es zunächst «Szenen», herausgegriffen aus dem Großstadtalltag, bar der faszinierenden Schärfe der [oben] erwähnten Skizzen aus der Welt der zwanziger Jahre, erfüllt dagegen von einer offenbar tief empfundenen menschlichen Kameraderie zwischen dem scheuen Künstlerwesen und dem sich unbeobachtet fühlenden Modell.
Sodann, in der gleichen Technik, zu der eine sensibel zügige, zerbrechlich steile Handschrift in vorzugsweise weiße Konturen tritt, welche die erdigen Grundtöne spinnwebartig strukturieren, die wohl reiftsten Schöpfungen von Erna SchmidtCaroll: Landschaften, vorzugsweise aus dem Süden und aus den Hochalpen, die seltsam an Altdorfer, Huber, an Donauschule gemahnen, wobei noch eini ges von der träumerischen Transzendenz Hercules Seghers’ hineinzuspielen scheint, um letztlich doch etwas Ureigenes zu sein.
Zur Biographie sei noch nachgetragen, daß Erna Schmidt-Caroll gebürtige Berlinerin ist, daß sie 1914 ihr künstlerisches Studium an der Breslauer Kunstakademie begann, die damals Hans Poelzig leitete, und daß sie dort Schülerin von Arnold Busch wurde. 1916 fing sie an, ihre Kunst in den Dienst der Mode zu stellen, um schon ein Jahr später das Studium an der von Bruno Paul geleiteten Unterrichtsanstalt des Berliner Kunstgewerbemuseums fortzusetzen. Emil Orlik nahm die junge Begabung in seine graphische Fachklasse auf und machte sie zu seiner Meisterschülerin. – Über Ausstellungen ist, wie gesagt, nicht viel zu berichten – hier war sie gewöhnlich eine unter vielen, die beinahe eigensinnig nichts tat, um sonderlich beachtet zu werden. Nur einmal, im Jahre 1937, konnte man eine größere Anzahl ihrer Arbeiten in der Galerie Gurlitt sehen; in der anspruchsvolleren Presse fand sie damals betrachtliche Anerkennung. 1943: Evakuierung nach Herischdorf im Riesengebirge, 1945 : Flucht aus Schlesien und Verlust aller dort befindlichen Arbeiten.
Aus: Die Kunst und das schöne Heim, 1966